„Diese Borussia wäre die Bundesliga wert!“

Aus der traditionsreichen Geschichte der Borussia / Endrunde um die deutsche Meisterschaft 1963 – Serie, Teil 5: Das entscheidende Duell Borussia gegen Borussia / Zum Abschluss ein beachtliches 1:1 beim HSV

Unser Bild: Vorläufiger Abschied von der großen Fußballbühne – Borussias Mannschaft entrollte vor dem letzten Endrunden-Heimspiel gegen den Dortmund einen Gruß und Dank an ihre Fans. (Foto: 90 Minuten. Mit Ferdi Hartung in die Bundesliga)

15. Juni 1963. Tatort: Ludwigspark-Stadion Saarbrücken. Ein kleines Fußballwunder scheint wahr zu werden. Denn soeben hat Borussias famoser Innenläufer Erich Leist sein Team mit 1:0 gegen den westfälischen Namensvetter aus Dortmund in Führung gebracht. Günter Kuntz kann nur mit unfairen Mitteln im Strafraum gebremst werden, Routinier Leist lässt sich diese Chance nicht entgehen und verwandelt den Strafstoß kalt wie eine Hundeschnauze. Es ist das Tor, das die Borussia aus dem Ellenfeld braucht. Das heiß ersehnte Tor, das die Pforten zum Endspiel um die deutsche Fußballmeisterschaft weit aufzustößt.

Nur ein paar Minuten später haben die 43.000, die sich auf den Rängen im Park so eng drängeln wie in der sprichwörtlichen Sardinenbüchse, den nächsten Torschrei auf den Lippen. Wieder geht die Gefahr von Günter Kuntz aus. Die scharf geschlagene Flanke des Spielers mit der Nummer 11 auf dem Rücken wird von BVB-Keeper Wessel ebenso verpasst wie von dem heranrauschenden Elmar May. Ohne dass ihn noch jemand berührt, zischt der Ball um Zentimeter am rechten Dortmunder Pfosten vorbei. Kein Zweifel: Ein 2:0 vor der Pause hätte in diesem Borussen-Duell eine Vorentscheidung bedeuten können, zumal die Ellenfelder in den ersten 45 Minuten mehr vom Spiel haben. Der favorisierte Gast, damals die erfolgreichste deutsche Mannschaft der Nachkriegszeit, wankt. Aber er fällt nicht.

Fast das 2:0: Elmar May im Tor, aber leider nicht der Ball, der nach einer Kuntz-Flanke an Freund und Feind vorbeiauscht. (Foto: 90 Minuten. Mit Ferdi Hartung in die Bundesliga)

Die Szene vor dem Elfmeter zum 1:4: Pechvogel Hennes Schreier (Nr. 3) ist beim Abwehrversuch ein Handspiel unterlaufen, die Dortmiunder protestieren, der Schiedsrichter pfeift Strafstoß. (Foto: 90 Minuten. Mit Ferdi Hartung in die Bundesliga)

Fußball verbindet: In diesem Fall ist das runde Leder die Verbindung zwischen BVB-Keeper Wessel und Borussias Stürmer Günter Kuntz. (Foto: 90 Minuten. Mit Ferdi Hartung in die Bundesliga)

Denn der Fußballgott, sofern es ihn gibt, will es anders. Kurz vor dem Pausenpfiff von Schiedsrichter Ewald Regely aus Berlin, also zu einem für Borussia psychologisch denkbar ungünstigen Zeitpunkt, glückt Dortmunds Jürgen Schütz der Ausgleich – die Wende! Als kurz nach Wiederanpfiff Timo Konietzka – ja genau: der Konietzka, der ein Jahr später in Bremen den ersten Treffer der neuen Bundesliga erzielen sollte! – die Gäste mit 2:1 in Führung bringt, biegt der BVB endgültig auf die Siegerstraße ein. Keine zwanzig Minuten später ist alles entschieden: Wieder Konietzka hat auf 3:1 erhöht, dann unterläuft Erich Leist, in Halbzeit eins noch umjubelter Elfmeterschütze für die Schwarz-Weißen, im eigenen Strafraum ein unglückliches Handspiel. Gerhard Cyliax verwandelt den Strafstoß sicher (68). Zwar verkürzt Elmar May wenig später (70.) noch einmal auf 2:4, doch die leise aufkeimenden Neunkirchener Hoffnungen macht Alfred Schmidt mit dem fünften Dortmunder Tor schon im Gegenzug endgültig zunichte.

Den „kleinen“ Borussen bleibt der freilich schwache Trost, bis zum vorletzten Spieltag der Runde der härteste Konkurrent der „großen“ Borussia gewesen zu sein, die später ins Endspiel einzieht und sich dort mit einem 3:1 gegen den Favoriten 1. FC Köln die deutsche Fußballkrone aufsetzt. Da im Parallelspiel 1860 München den Hamburger SV mit 2:1 besiegt, ist Neunkirchen schon vor dem letzten Spieltag raus aus dem Rennen um das Endspiel. Damit ist auch die kleine Chance zur Aufnahme in die neue Bundesliga verspielt.

Drei gegen einen: Uwe Seeler ist auf und davon, Günter Kuntz (hinten), Hennes Schreier (Mitte) und Erwin Glod kommen nicht mehr hinterher. (Foto: Mythos Ellenfeld. 100 Jahre Borussia Neunkirchen)

Umso bemerkenswerter dann, wie die Mannen von Trainer Hans Pilz im letzten Spiel beim Hamburger SV auftreten. Elmar May kann die HSV Führung von Fritzsche ausgleichen, der 1:1-Halbzeitstand hat auch nach 90 Minuten Bestand. Ein mehr als achtbarer Abschluss einer sensationellen Runde! „Diese Borussia wäre die Bundesliga wert“, lautet die Schlagzeile im „Sport-Magazin“, in dem Jupp Wolff, der Sportreporter des „Hamburger Abendblatts“ dem Gast aus dem Ellenfeld ein weit über die Grenzen des Saarlandes hinaus viel beachtetes Zeugnis ausstellt: „Eine erfreuliche Erscheinung im deutschen Fußball! Borussia Neunkirchen war in Hamburg nicht allein ein guter, ein starker, sondern auch ein sympathischer Gegner. Ich kann es verstehen, wenn Trainer Hans Pilz sagt, dass es ihm eine große Freude bereitet hat, mit dieser Mannschaft zu arbeiten. Das Spiel der Neunkirchener ist nicht elegant, es gibt keine übertriebenen Schnörkel, aber es ist wirkungsvoll und gekonnt. Hervorragend war die Sicherung, die die Mannschaft einbaute, als der HSV überlegen spielte. Kirsch erwies sich erneut als ein glänzender Torhüter, die Verteidiger Schröder und Schreier stellten sich klug und die Läuferreihe war meist in der Lage, den Angriff des HSV zu blockieren. Schade, dass dieser Borussia der Weg in die Bundesliga versagt geblieben ist.“

Von all diesen Komplimenten können sich die Borussen freilich nichts kaufen. Das sehen auch die Spieler so, bei denen die Bundesliga selbst in der Kabine bis zum vorletzten Endrundenspiel ein Gesprächsthema gewesen ist. Erich Leist spricht vom „bitteren leeren Trost“. Den Borussen bleibt nun nichts Anderes übrig, als in der Regionalliga unter ihrem neuen Trainer Horst Buhtz einen neuen sportlichen Anlauf zu nehmen. In der eher gedämpften, traurigen Stimmung des Juni 1963 weiß noch keiner, dass dieses Unternehmen nur ein Jahr später gegen starke Konkurrenz von überraschendem Erfolg gekrönt sein würde! (-jf-)

Im sechsten und letzten Teil unserer kleinen Serie: Erfindungsreiche Borussen-Fans!

Abschlusstabelle DM-Endrunde 1963

1.Borussia Dortmund                     15:7 Tore / 9:3 Punkte

2.1860 München                             10:12 Tore / 6:6 Punkte

3.Borussia Neunkirchen                8:11 Tore / 6:6 Punkte

4.Hamburger SV                              7:10 Tore / 3:9 Punkte

Statistik

Borussia Neunkirchen – Borussia Dortmund 2:5 (1:1)

Borussia: Kirsch – Leist, Schock, Schreier, Schröder, Melcher, Ringel, Berg, Kuntz, May, Pidancet. – Trainer: Hans Pilz.

BVB: Wessel – Burgsmüller, Geisler, Paul, Bracht, Kurrat, Schmidt, Schütz, Cyliax, Konietzka, Wosab. – Trainer: Hermann Eppenhoff.

Tore: 1:0 (26.) Leist, 1:1 (44.) Konietzka, 1:2 (49.) Schütz, 1:3 (53.) Konietzka, 1:4 (68.) Cyliax, 2:4 (70.) May, 2:5 (70.) Alfred Schmidt. – Schiedsrichter: Ewald Regely (Berlin). – Zuschauer: 43.000 (in Saarbrücken).

Hamburger SV – Borussia Neunkirchen 1:1 (1:1)

HSV: Schnoor – Krug, Kurbjuhn, Stapelfeldt, Fritzsche, Kreuz, D. Seeler, Werner, Wulf, Dörfel, U. Seeler. – Trainer: Martin Wilke.

Borussia: Kirsch – Leist, Schock, Schreier, Schröder, Glod, Harig, Melcher, Ringel, Kuntz, May. – Trainer: Hans Pilz.

Tore: 1:0 (18.) Fritzsche, 1:1 (26.) May. – Schiedsrichter: Günter Sparing (Kassel). – Zuschauer: 23.000.

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